"Möge die Krakenkraft mit dir sein"....das Interview zum Album "Observable"


 

Lieber Hr. Krakenkraft ich hoffe es ist okay wenn ich dich Andreas nenne (lacht). Wir freuen uns riesig, dass demnächst dein neues Album „Observable“ auf Kaktusgleichapfelbaum-Records erscheinen wird. Zum Album selbst haben wir natürlich auch noch ein paar Fragen. Aber zuerst wollen wir ein wenig mehr über „Krakenkraft“ erfahren:

Zuerst mal wie kann man den Schaffensbereich von „Krakenkraft“ zusammenfassen? Welche Stile fließen in das Projekt mit ein?

Elektronische Musik in ruhigeren Spielarten, von Ambient bis gemäßigt Experimentell, von Electronica bis Downbeat, von Space bis Kosmische. Meist ohne Bumm-Tschak. Wobei, darauf kommen wir sicher noch zu sprechen, ich all diese Etiketten schwierig und überkommen finde.

Als ich erstmal das Projekt „Krakenkraft“ wahrgenommen habe, war ich sofort neidisch auf den Projektnamen. Also warum „Krakenkraft“? Wie bist du darauf gekommen?

Ja, eigentlich nur, weil "Spacekraken" schon weg war. Und lieber hätte ich ja was cooles, avantgardistisch klingendes gehabt, wowas wie "Aphex Twin" oder "Air Liquide". Lurex Nodens? Alpha Cortex? Lactum Polymorph? 

Aber es sollte (nicht nur, aber auch) Deutsch klingen, ohne zugleich allzu muffig zu sein. Und weil ich Tintenfische ebenso mag wie die meisten der Geschichten von H.P.Lovecraft, und weil das Englische gleichermaßen die Wörter Kraken und Kraft kennt, wurde es eben Krakenkraft. 

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Wie lange gibt es „Krakenkraft“ schon und welche Platten oder Nummern siehst du als Meilensteine in deinem Schaffen?

Ich habe schon einige musikalische Phasen hinter mir, über die ich aber lieber den Mantel des Schweigens breite. Krakenkraft entstand dann so etwa 2016, ganz speziell als Lovecraft-Musikprojekt, weil ich es leichter finde, auf ein Ziel hin zu arbeiten. So waren die ersten Stücke alle nach Personen, Orten, Zitaten oder anderen Entitäten aus Lovecrafts Stories benannt. Irgendwann habe ich das aufgegeben, weil es für mich nicht mehr passte. Jetzt müsste ich eigentlich den Namen wechseln, aber das wär ja auch Unfug.

Meilenstein für mich war gewiss die "Black Seas of Infinity". Diese Langsamkeit, die ist einfach mein Ding. Mein Ideal wäre eigentlich 24/7 ein Klang, der sich so unmerklich verändert, dass man ihn ständig als gleich empfindet, aber dann plötzlich als anders, ohne sich erinnern zu können, wann er sich verändert hat. Im Rückblick denke ich, "Black Seas" wagt sich zu weit hinaus in die harsche Kälte von Drones, um wirklich geliebt zu werden. Aber es gibt auch ganz zarte Stellen darin.

Bei "Snow Flurry – Schneegestöber" stimmt aus meiner Sicht alles, da ist Abwechslung in einer ausgewogenen Mischung drin. Auf "Relic", denke ich, bin ich dem Ambient-Begriff am nächsten. Während "melancholic" doch sehr klare Strukturen und Motive hat, also für mich ist das fast Pop.

 Dyeing Poem #1 liebe ich, aber wen wundert das, es baut letztlich auf der Gymnopédie 1 vo Eric Satie auf, und der hat schon vor 100 Jahren mit "Musique d’ameublement" den Ambient erfunden, dieses Klangmaterial kann man gar nicht kaputt machen. "p-brane transition" ist vielleicht zu anstrengend, um wirklich Ambient zu sein, aber gerade zusammen mit dem Video, das ich dafür gemacht habe, finde ich es immer noch eine sehr eindringliche Erfahrung. Zieht euch die 23 Minuten mal am Stück rein, mit großem Screen!

Bevor wir nun zum Album selbst kommen frag ich mich ob du uns eventuell noch etwas über deine Arbeitsweise, deinen Workflow erzählen möchtest? Natürlich wird der Workflow nicht immer gleich sein aber vielleicht gibt es ja Dinge die du immer oder nie machst. Und mit welchen Geräten arbeitest du?

Ich habe zum Beispiel eine Android-Tablet-DAW namens "Caustic", eigentlich ein ganz simples 5-Euro-Ding ohne beeindruckende Sounds, doch die liebe ich aufgrund ihres Workflows und wegen zwei ihrer virtuellen Synths. Das eine ist ein supersimpler Sampler ohne Schnickschnack, mit dem man Sounds schön krustig entstellen kann. Das andere ist ein ziemlich limitierter Modularsynth, mit dem man dennoch erstaunlich viel machen kann, auch weil einen nicht dieser ganzen VCV-Ballast niederdrückt. Das Ergebnis ist nie direkt verwendbar aber eine sehr gute Grundlage.

Andere Dinge beginnen in Ableton ganz klassisch Loop-basiert und mit virtuellen Instrumenten. Ich habe auch schon mit irgendeiner exotischen Skala angefangen, einfach mich gezwungen, damit was zu machen. Oder hatte ein Vorbild vor Ohren, das ich kopieren wollte – das Ergebnis wird sowieso immer anders.

Seit zwei Jahren verwende ich zunehmend reale Modularsysteme. Das eine ist ein Tangible Waves AE modular, der zum Experimentieren anregt, ohne dass man sich gleich arm macht. Ich habe aber auch ein größeres (eher drei kleine) Eurorack-Modularsysteme mit dem üblichen eBay-Verhau von Glücksgriffen und Fehlkäufen. Dazu ein paar Bodentreter, Toy-Kleinkram, ein paar gelötete DIY-Kits. Mein ältestes Gerät ist ein Theremin, das war damals ein Bausatz. Ich habe auch mehrere Noise-Boxen mit Kontaktmikrophonen gebaut, aber perfekt sind die noch nicht. 





  

 

Nun zum Album selbst. Der Titel „Observable“ wird, wie ich vermute, nicht gar so einfach zu erklären sein. Ein Begriff der hauptsächlich im Feld der Quantenmechanik anzutreffen ist. Hier bin ich mal gespannt wie du in ein paar einfachen Sätzen erklären wirst warum du das Album so betitelt hast. (lacht)

 

Ich bin einfach ein Astrophysik-Nerd, lese seit meiner Kindheit populärwissenschaftliches Zeug, und wäre mein Leben etwas anders verlaufen, würde ich heute in der Atacama-Wüste in Chile sitzen und mit extrem teuren Fernrohren spielen.

Es gibt das Universum, das ist vereinfacht gesagt "alles". Und es gibt das beobachtbare Universum ("observable universe"), das ist der Teil, den wir heute und von der Erde aus wahrnehmen können. Aus physikalischen Gründen ist dieser Teil wahrscheinlich kleiner als "alles". Aber "kleiner" ist ein arg großes Wort, denn in dem, was wir sehen können, ist natürlich immer noch eine Menge Platz. Und daher folgen die Track-Titel meist einigen der größten kosmischen Objekte innerhalb dieses Beobachtungshorizonts.

Also, Allgäu und Vorarlberg sind ja schon Provinz. Aber unsere Sonne zum Beispiel ist ja quasi auch nur ein Vorort in einem Nebenarm der Milchstrasse. Die wiederum ist nur ein Klecks im Virgo-Galaxienhaufen. Und auch der ist klein im Vergleich zur sogenannten Sloan Great Wall. Und seitdem ich denken kann, schau ich Nachts in den Himmel und denke "Wow, ist das alles gigantisch!".

Dies ist übrigens auch etwas, was die Geschichten von Lovecraft durchzieht: Das wir ein Nichts sind inmitten dieses enormen Alles, das uns heute sogar noch größer erscheinen sollte als ihm zu seinen Lebzeiten. Für mich ist das aber kein Anlaß zu Angst oder dem "kosmischen Grauen" seiner Geschichten, sondern zu freudigem Erstaunen. Dass es all das gibt. Und dass es uns gibt, auch wenn wir darin eine unfassbar geringe Rolle spielen. Denn was heisst schon "Observable"? Niemand kann sich auch nur die Erde komplett anschauen, schon das dauert zu lange, von einer einzelnen Galaxie ganz zu schweigen. Wir sind zu kurzlebig, um selbst alles Sichtbare überhaupt sehen und beschreiben zu können, und natürlich können wir heute auch die Musik der Menschen nicht mehr komplett hören, obwohl wir theoretisch besser auf sie zugreifen können als je zuvor und auch mehr Musik hören als jede Generation vor uns. 

Whoah, ganz schön viel Blafasel, aber es ist schon so: Musik ist für mich auch immer eine Art kosmisches Gefühl, also man muß mit der Musik wegspacen können, und das geht mit "The Lark Ascending" von Vaughan Williams genauso wie mit "Sex Machine" von James Brown, für mich übrigens sozusagen Minimal EDM Ambient.


Wie ich aus einer deiner eigenen Vorankündigungen entnehmen konnte, tragen die Stücke auf dem Album die Namen deiner kosmischen Lieblingsobjekte. Vielleicht kannst du uns zu ein oder zwei Objekten sagen, was dich speziell an ihnen begeistert?

Das Boötes Void finde ich einfach geil. Das ist quasi Minimalism im Universum, eine Stelle, wo einfach viel weniger Dinge existieren als anderswo; also so viel weniger, dass es auffällig wird. Was ist das? Hätte Lovecraft das schon gekannt, hätten wir heute eine Story dazu. Und auch das ist doch irgendwie cool: Wir wissen erst seit 1981 vom Boötes Void, zugleich dachte man 1980 wahrscheinlich auch schon, alles zu wissen. Was also werden wir in 40 Jahren wissen, wovon wir heute noch keine Ahnung haben?

Und die Pillars of creation sind ja fast ein Klischee. Aber sind die nicht unglaublich schön? Und bitte: Nur wir sehen die so – von woanders sehen die ganz anders aus. Und wir sehen sie nur heute so, in anderen Zeiten werden sie anders, vielleicht nach Nichts aussehen.

Und überhaupt sind diese ganzen Bilder, die wir kennen, von bunten Sternennebeln und Blasen, ja nur gemacht. So sieht der Weltraum in Wirklichkeit gar nicht aus. Es sei denn, wir betrachten ihn auf genau jene Weise, die zu solchen Fotos führt, wo sie also zum Beispiel nach bestimmten Kriterien eingefärbt werden. Das bedeutet doch aber auch, dass die Pillars of creation in ihrer Schönheit sowohl real da draußen existieren – wie nur in unserem Kopf.

Möchtest du sonst noch etwas über das Album mitteilen?

Natürlich kann man kosmischen Objekten nur schwer musikalisch gerecht werden. Also zum Beispiel Boötes Void, das müsste ja eigentlich "ruhiger" sein als andere Stücke, es ist aber das Gegenteil der Fall, das groovt eher. Oder Vela Pulsar, da hätte man sich irgendwie zwanghaft was mit der Rotationsdauer von 89ms überlegen können. Auf dem etwas süßlichen Album "Dawn Chorus" hat der großartige Isao Tomita Aufnahmen von Radiosternen als Signalquelle genutzt, aber ganz ehrlich, das hört man nicht wirklich.

Man kann all sowas schon machen, theoretisch. Aber solche Dinge finden auf meinem Album nicht statt. "Observable" ist reine musikdichterische Interpretation. Am ehesten noch ist die "Hugeness" rauszuhören.

Ambient ist ein Genre, das oft mit Muzak-Musik oder esoterischer Musik verwechselt wird. Wo siehst du da die Trennlinie?

Muzak halte ich eher für einen Kampfbegriff, nicht für ein wirkliches musikalisches Genre. Kann man aber gewiss anstreben, wenn man will.

Auch New Age muss man, wenn, dann ganz bewusst machen. Dazu müsste man, glaube ich, als Person eher Eso und New Age drauf sein, ohne das jetzt abwerten zu wollen. Oder, ebenfalls wertungsfrei, es aus kommerziellen Gründen wollen, denn für New Age existiert ein klar erkennbarer Markt. Dann aber müsste man sich wahrscheinlich an Regeln halten, an unausgesprochene New-Age-Konventionen wie Eso-Namen, Ethno-Instrumentierung, etc., und es muss dann alles maximal auf Harmonie getrimmt sein. Für Krakenkraft sage ich da eher nein, oder zumindest nur grenzgängerisch. "Sein & Rausch" könnte man als New Age hören, aber wird das New-Age-Fans wirklich zufriedenstellen?

New Age und von mir aus auch Muzak sind aus meiner Sicht etablierte Begriffe, wo man wenig falsch machen kann, wenn man die Erwartungshaltung eines Publikums bedenkt und bedient. Bei Ambient ist es doch eher so, dass heute darunter viele Spielarten elektronischer Musik verstanden werden, und man eben keine Regeln hat, oder weniger.

Ich selbst ziehe die Grenze sozusagen negativ: Ist es tanzbar? Hat es eine Refrain-Strophe-Struktur? Kannst Du es jemandem vorpfeifen, und er erkennt es? Wenn ja, dann ist es eher kein Ambient.

1978 erschien „Ambient 1“ von Brian Eno. Von Krautrock und diversen anderen Richtungen beeinflusst, wird ihm die Erfindung „Ambient“ seit damals zugeschrieben. Angeblich kam er auf die Idee als er bei einem Krankenhausaufenthalt eine Platte mit Harfenmusik aus dem 18 Jahrhundert vom Bett aus  nicht lauter drehen konnte und sich so Umgebungsgeräusche und Musik gefällig durchmischt haben. Hat sich Ambient Musik seit den Gründertagen deiner Meinung nach stark verändert? Und wo siehst du seine Perspektiven?

Puristisch gesehen ist es Ambient im Sinne von Eno, wenn es auf Strukturen wie Motive, Rhythmen oder überhaupt Komposition verzichtet, sondern als Textur daherkommt, die Klangwände tapeziert und maximal eine Stimmung transportiert. Ich frage Dich: Ist sowas überhaupt machbar?

Vom Ursprung her will Ambient eine Musik sein, die bewusst nebenbei laufen kann, gerade so belanglos, dass sie nicht bei der Hauptaufgabe stört, gerade noch so interessant, dass man auch beim zehnten Mal noch hinhört. Ich frage Dich: Macht das Pop nicht genauso?

"Ambient" scheint mir in der realen Nutzung überhaupt kein sinnvoller Begriff zu sein, auch wenn ich selbst davon eine sehr klare Vorstellung habe. Für mich persönlich sind Ambient-Tracks Räume, die man für die Zeitdauer der Musik betritt. Und weil in diesen Räumen auch Nicht-Ambient gespielt werden kann, darf es auch mal Strukturen, Motive, Rhythmen geben. Aber das sind nur meine 5 Cent. Wer auf Soundcloud, Bandcamp, Hearthis das Tag 'Ambient' abhört, hört alles mögliche, aber keinen Ambient. 

Vielleicht fehlen neue Gattungsbegriffe, oder ich kenn sie einfach nicht. Andererseits brächten uns neue Genres wie "ambitronicals" und "chill age" auch nicht weiter, weil, ist doch klar, wenn jemand eine Grenze setzt, wird sofort einer kommen und sie übertreten.

Woran arbeitest du aktuell? Worauf außer aufs neue Album dürfen wir uns noch freuen?

Ich möchte ein Dutzend "Berlin School"-Tracks machen. Das ist ein vergleichsweise klares Etikett, das die damit bezeichneten Musiker meist abgelehnt haben, und heute ist das Genre ebenso versteinert wie geliebt. Die Stücke sollen diese Tradition liebevoll pflegen, aber hoffentlich nicht zu traditionell werden. Und des weiteren eine Reihe von Stücken, die noch mehr als bisher diese erwähnten Räume sind, vielleicht kürzer, dafür miteinander interagierend. 

 

Freuen dürfen wir uns aber auf den Sommer!



 

 

Lieber Andreas! Wir danken, dass du dir für uns Zeit genommen hast und natürlich auch für deinen Release auf Kaktusgleichapfelbaum-Records. Wir können den 14.6. kaum erwarten!

 


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